Text von Steffanie Müller
Heute Morgen wurde mir die Frage gestellt, was mir denn wichtiger sei, meine Freiheit oder der Tod der anderen.
Ich könnte nun die Argumentation damit beginnen, nein, ich möchte nicht, dass auch nur ein einziger Mensch an Corona stirbt – aber ich kann eh nicht aussuchen, woran jemand stirbt: An irgendwas sterben alle irgendwann und nicht ich bestimme, an was. Ich wiederhole ständig wie eine Papageienfrau, dass ich vernünftige Maßnahmen zum Schutz von Risikogruppen sinnvoll finde, nicht nur bei Corona. Aber zwischen Massenknutschen auf dem Schwarzbierfest und „lockdown“ ist sehr viel Platz für Vernunft.
Und wenn ich mir schon überlege, bei was möchte ich nicht, dass Menschen daran sterben: Ich möchte nicht, dass Menschen in Kriegen oder Flüchtlingslagern sterben, ich möchte nicht, dass Menschen verhungern, verdursten oder elendiglich an Diarrhoe zugrunde gehen, weil sie nur verseuchtes Wasser haben.
Ich möchte nicht, dass Menschen an einer Chemotherapie verrecken wie ich es schon mehrfach beruflich und privat gesehen habe, will nicht, dass sie bei Verkehrsunfällen umkommen (es sind doch alle so heiß auf Regeln, warum halten sie sich im Straßenverkehr nicht daran, um Leben zu schützen?), ich möchte nicht, dass Menschen umkommen, weil religiös motivierte Leute in Menschenmengen rasen, Höllenangst verbreiten und so Suizide verursachen. Ich möchte nicht, dass Femizide geschehen. Ich möchte definitiv nicht, dass Kinder totgeschüttelt werden.
Es gibt ganz, ganz viele Dinge, bei denen ich nicht möchte, dass Menschen daran sterben und bei denen ich mir wünsche, dass die Menschen sich solidarisieren und jede ihrs dazutut wie sie glaubt, es zur Corona Vermeidung dazuzutun. Ich möchte auch nicht, dass Kinder sterben, weil sie sich beim Färben von Kleidern für die Reicheren vergiften, dass so viele Menschen an Aids sterben, weil sie sich keine Medikamente leisten können, weil abergläubische Haltungen wie „Sex mit einer Jungfrau hilft gegen Aids“ verbreitet sind, ich möchte auf keinen Fall, dass junge Frauen sterben, weil ihnen mit schartigen Rasierklingen die Genitalien herausgefetzt werden und sie dann vernäht werden und am Schock sterben oder eine Sepsis bekommen. Ich möchte nicht, dass Menschen erschossen werden, weil der Zugriff auf Waffen viel zu einfach ist. Ich möchte nicht, dass alte Menschen in Heimen alleine gelassen werden und da einsam sterben.
Ich sage euch, wenn ich durch ein „stayathome“ auch nur eins oder 2, 3 dieser Dinge verhindern könnte, zählen wir noch die Massentierhaltung, die Zerstörung des Regenwaldes, das unsägliche Fracking, die Überdüngung, das Mikroplastik, die übergriffige Jagd hinzu, wenn ich 4, 5, 6 Wochen zuhause bliebe, ich würde mich noch auf dem Gästeklo einschließen, wenn das hülfe.
Übrigens: All diese Dinge sind unnatürlich, nicht biologisch, natürlich oder ein zu erwartendes Lebensrisiko, auf dem toxischen Boden des Patriarchats gewachsen – selbst verursacht, könnten selbst behoben werden.